Die Zukunft der Wertschöpfung: Von traditioneller Digitalisierung zu KI-orchestrierten Wertströmen

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Prozessmanagement mit KI: Vom Dokumentieren zum Wertschöpfen 

Die digitale Transformation verändert fundamental, wie Unternehmen Werte schaffen und ausliefern. Während viele Organisationen noch immer Prozessmanagement als notwendiges Übel zur Dokumentation und Compliance betrachten, eröffnet die Kombination aus nutzerzentriertem Denken und intelligenter KI-Integration völlig neue Dimensionen der Wertschöpfung.

Es ist Zeit, Prozessmanagement mit KI neu zu denken – nicht als bürokratisches Instrument, sondern als strategischen Hebel für echte Kund:innenzentrierung und nachhaltigen Geschäftserfolg. 

Die Prozessmanagement-Falle: Wenn Dokumentation zum Selbstzweck wird 

Viele Unternehmen tappen unbewusst in eine Prozessmanagement-Falle. Sie betreiben Prozessmanagement primär, um Abläufe zu dokumentieren, Compliance-Anforderungen zu erfüllen und Management-Reports zu produzieren. Diese eindimensionale Herangehensweise mag kurzfristig beruhigend wirken, verschwendet jedoch enormes Potenzial für echte digitale Wertschöpfung. 

Die eigentliche Herausforderung liegt darin, dass traditionelle Prozessansätze oft in Silos denken und dabei die vernetzten Wertschöpfungsmöglichkeiten der Digitalisierung übersehen. Wahre Wertorientierung entsteht erst, wenn Prozesse systematisch Nutzen für alle Stakeholder generieren. Kund:innen erhalten durch KI-gestützte Automatisierung schnellere, individuellere Lösungen zu besseren Konditionen. Mitarbeiter:innen werden von repetitiven Tätigkeiten befreit und können ihre Expertise für kreative, strategische Aufgaben einsetzen. Partner:innen und Lieferant:innen profitieren von transparenteren, datengetriebenen Zusammenarbeitsmodellen. Aktionär:innen und Anteilseigner:innen sehen nachhaltige Wertsteigerungen durch höhere Kund:innenbindung und operative Exzellenz. 

Die größte Herausforderung für Unternehmen ist eine zu starke Fokussierung auf kurzfristige Kennzahlen statt Prozessoptimierung als strategischen Hebel für digitale Wertschöpfung zu nutzen. 

Von der Digitalisierungs-Pyramide zur KI-Wertlogik: Ein Paradigmenwechsel 

Ein weit verbreiteter Irrtum ist die Gleichsetzung von Digitalisierung und digitaler Transformation (siehe Digitalisierungs-Pyramide weiter unten). Diese Verwechslung wird bei KI-Initiativen noch kritischer: Während Digitalisierung lediglich analoge Prozesse digital abbildet und digitale Transformation Geschäftsmodelle neu denkt, bietet KI-Integration Möglichkeiten für neuen Wert und setzt eine völlig neue Wertlogik voraus. 

Die klassische Digitalisierungs-Pyramide - von der einfachen Automatisierung über die Prozessoptimierung bis hin zur Transformation - muss für KI erweitert werden. KI-Agenten sind spezialisierte, autonome Softwareeinheiten, die Aufgaben kontextbezogen, selbstlernend und oft in Echtzeit ausführen können. Diese folgen einer grundlegend anderen Prozesslogik als menschliche Akteure. Während Menschen Prozessschritte sequenziell und regelbasiert abarbeiten, können KI-Systeme parallel, kontextbezogen und selbstlernend agieren. 

Beispiel aus der Praxis: Bei der Bearbeitung von Kund:innenanfragen folgt ein menschlicher Serviceagent typischerweise einem 8-Schritte-Prozess (Anfrage lesen → Kategorie zuordnen → Datenbank prüfen → Lösung suchen → Antwort formulieren → Qualitätskontrolle → Versenden → Dokumentieren). Ein KI-Agent hingegen kann alle diese Schritte simultan ausführen, dabei Sentiment-Analyse betreiben, Cross-Selling-Potenziale identifizieren und personalisierte Lösungen in Millisekunden generieren - und das bei jeder Interaktion lernend. 

Diese neue KI-Wertschöpfungslogik macht traditionelle, aktivitätsorientierte Prozessketten obsolet. Entscheidend wird die Identifikation und Orchestrierung digitaler Wertströme - jener Aktivitätsketten, die direkt messbaren Wert für alle Stakeholder schaffen, unabhängig von klassischen Abteilungsgrenzen oder Hierarchien. Nur wer diese Wertströme erkennt und KI-gestützt optimiert, kann das volle Wertschöpfungspotenzial der Technologie ausschöpfen.

Methodik: Vier-Schritte-Ansatz zur Wertstrom-basierten KI-Integration 

Die erfolgreiche Integration von KI-Agenten in Unternehmensprozesse erfordert eine systematische Herangehensweise, die über technische Aspekte hinausgeht. Der folgende Vier-Schritte-Ansatz führt vom grundlegenden Verständnis der eigenen Wertschöpfung bis zur optimalen Technologieauswahl: Zunächst gilt es, die tatsächlichen Wertströme im Unternehmen zu erkennen und zu verstehen. Darauf aufbauend werden diese Wertströme bewertet und priorisiert. Im dritten Schritt erfolgt die passgenaue Zuordnung von KI-Agent-Typen zu den identifizierten Wertströmen. Abschließend wird die optimale technologische Umsetzungsstrategie bestimmt - ob durch Automatisierung, Digitalisierung oder den Einsatz intelligenter KI-Agenten. 

Schritt 1: Wertströme identifizieren 

Wertströme umfassen alle Aktivitäten, die direkt messbaren Nutzen für Stakeholder schaffen. Anders als klassische Prozesse richten sie sich konsequent am Wert aus. Um diese Perspektive auf mögliche KI-Einsatzfelder zu übertragen, braucht es ein strukturiertes Vorgehen.

Methodik zur Identifikation relevanter Wertströme:

Stakeholder-Mapping: Wer erhält welchen Wert? Kund:innen, Partner:innen, Mitarbeitenden oder die Gesellschaft.

Value-Journey-Analyse: Welche Schritte durchlaufen Stakeholder von der Erwartung bis zur tatsächlichen Wertrealisierung?

Cross-funktionale Wertketten: Welche abteilungsübergreifenden Aktivitäten erzeugen gemeinsam diesen Wert?

Ein Wertstrom gilt als optimal technologisiert, wenn er hohen Stakeholder-Wert mit minimaler Komplexität erzeugt und sich kontinuierlich verbessert – nicht nur effizienter wird.

Um dafür die passende Technologie auszuwählen, hilft die 3-Fragen-Regel:

Ist der Prozess immer gleich?Automatisieren

Brauchen Menschen bessere Informationen?Digitalisieren

Muss der Prozess lernen oder eigenständig entscheiden?Agentisieren

Bild: Die Value-Impact-Matrix 

Schritt 2: Wertströme bestimmen und bewerten - Die Value-Impact-Matrix 

Nicht alle Wertströme sind gleich relevant für KI-Integration. Eine systematische Bewertung hilft bei der Priorisierung. 

Bewertungs-Dimensionen: 

  • Wertschöpfungs-Potenzial: Wie hoch ist der mögliche Stakeholder-Nutzen? 
  • KI-Readiness: Wie gut eignet sich der Wertstrom für KI-Optimierung? 
Bild: Der KI-Agent-Fit 

Schritt 3: Auswahlkriterien und Voraussetzungen festlegen - Der KI-Agent-Fit 

Verschiedene Wertströme erfordern verschiedene KI-Agent-Typen. Die Matching-Logik entscheidet über Erfolg oder Misserfolg. 

Ausschluss-Kriterien: 

  • Unstrukturierte Daten ohne Standardisierungspotenzial 
  • Hochkomplexe ethische Entscheidungen 
  • Gesetzliche Anforderungen 

Schritt 4: Die Prozess-Technologie-Logik

  • Automatisieren - Wenn Prozesse "dumm, aber fleißig" sind: 

    • Prozess-Charakter: Immer gleiche Schritte, klare Regeln, keine Überraschungen 
    • Typische Prozesse: Rechnungsverarbeitung, Datenübertragung, Standard-Berichte erstellen 
    • Technologie: RPA-Tools, Workflow-Systeme, einfache Wenn-Dann-Logik 
    • Faustregel: "Wenn ein:e Praktikant:in den Prozess nach einer Woche beherrscht" 
  • Digitalisieren - Wenn Menschen Unterstützung brauchen: 

    • Prozess-Charakter: Interaktiv, erfordert menschliche Entscheidungen, aber datengetrieben 
    • Typische Prozesse: Kund:innenberatung mit Systemen, Projektmanagement, Genehmigungsworkflows 
    • Technologie: Apps, Dashboards, Self-Service-Portale, digitale Arbeitsplätze 
    • Faustregel: "Wenn Menschen bessere Informationen benötigen, um gute Entscheidungen zu treffen" 
  • Agentisieren - Wenn Prozesse "intelligent und adaptiv" werden sollen: 

    • Prozess-Charakter: Komplex, kontextabhängig, jeder Fall ist anders, lernen erforderlich 
    • Typische Prozesse: Individuelle Kund:innenberatung, Risikobewertung, personalisierte Empfehlungen 
    • Technologie: KI-Agenten, Machine Learning, selbstlernende Systeme 
    • Faustregel: "Wenn auch erfahrene Expert:innen bei jedem Fall neu nachdenken müssen" 

In der Praxis: Warum die meisten Wertströme einen Hybrid-Ansatz benötigen

Nur die wenigsten Wertströme lassen sich mit einer einzigen Technologie optimal unterstützen. Moderne Geschäftsprozesse sind komplex, dynamisch und berühren unterschiedliche Informations- und Entscheidungsbedarfe. Deshalb entsteht der größte Mehrwert nicht durch entweder Automatisierung, Digitalisierung oder Agentisierung, sondern durch die intelligente Kombination aller drei Ebenen.

Ein Hybrid-Ansatz ermöglicht es, stabile Abläufe zu automatisieren, Menschen mit relevanten Informationen zu unterstützen und gleichzeitig lernfähige, KI-gestützte Elemente dort einzusetzen, wo Entscheidungen komplex oder unsicher sind. So wird Technologie nicht Selbstzweck, sondern präzise auf den Wertstrom abgestimmt.

Im Folgenden zeigen wir exemplarisch, wie ein Kund:innenservice-Prozess in einer solchen Hybrid-Architektur aufgebaut ist – und wie die drei Ebenen gemeinsam wirken, um maximale Wertschöpfung zu erzielen.

Unser Fazit: Von der Dokumentation zur Wertschöpfung 

Wertorientiertes Prozessmanagement mit KI ist mehr als ein Trend – es ist eine Notwendigkeit für Unternehmen, die in der digitalen Ökonomie erfolgreich sein wollen. Der Schlüssel liegt darin, Prozesse nicht länger als statische Abläufe zu verstehen, sondern als dynamische Wertschöpfungsinstrumente, die sich kontinuierlich weiterentwickeln und an Kund:innenbedürfnisse anpassen. 

Unternehmen, die diesen Wandel vollziehen, werden nicht nur effizienter, sondern schaffen echte Wettbewerbsvorteile durch überlegene Kund:innenerfahrungen und innovative Geschäftsmodelle. Die Frage ist nicht, ob dieser Wandel kommt, sondern ob Sie bereit sind, ihn aktiv zu gestalten. 

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